Die Erfindung des Wissenschaftlichen Theaters
Ein Rückblick auf einen Vortrag von Hendryk Spanier am 19. April 2018, 19:30 Uhr
Populärwissenschaftliche Fernseh- und Internetformate sind in unserer Zeit etwas völlig normales, niemand würde ihren Unterhaltungs- und Bildungswert grundsätzlich anzweifeln. Das war nicht immer so. Die Kluft zwischen etablierter Wissenschaft und dem Bildungsgrad der Allgemeinheit erschien vor hundertfünfzig Jahren fest zementiert. Wäre ein deutscher Gelehrter auf die Idee gekommen, wissenschaftliche Zusammenhänge einer breiteren Bevölkerungsgruppe verständlich erklären zu wollen, hätte ihn das seinen wissenschaftlichen Ruf kosten können.
Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Industrie im Deutschen Reich mit zunehmender Geschwindigkeit, damit stieg auch das Bedürfnis nach mehr Kompetenz in der wissenschaftlich-technischen Bildung. Große Industrieunternehmen unterstützten dieses Streben nach besserem Verständnis von technischen Zusammenhängen, vor allem in Erwartung möglicher Qualitätsverbesserungen der Arbeitsergebnisse und natürlich der Gewinnsteigerung.
Verbesserte Beobachtungsinstrumente gestatteten Einblicke in nie zuvor gesehene Welten außerhalb des irdischen Tellerrandes. Die Erfindung der Fotografie und immer genauere Reproduktionstechniken in Büchern, Zeitungen und Zeitschriften taten das Ihrige. Wachsende Neugier, gepaart mit Phantasie, bildete den Boden für plötzlich jedermann interessierende Fragen: Sind wir allein im All? Kann die Erde einmal untergehen? Wie ist sie überhaupt entstanden? Sind die Planeten, insbesondere der Mars, bewohnt?
Interessant ist, dass sich immer wieder Leute finden, die aufgrund besonderer Anlagen und Lebensumstände zu Vermittlern in ihrer Zeit werden, Grenzen überschreiten und Neues entwickeln, das in die Zukunft weist. Einer von ihnen war der Astronom, Schriftsteller und Wissenschaftsjournalist Max Wilhelm Meyer (1853–1910) der zum Mitbegründer der Urania-Gesellschaft in Berlin wurde und das Wissenschaftliche Theater erfand.
Vor dem Hintergrund des zunehmenden Interesses an der Geschichte der Wissenschaftspopularisierung im 19. und 20. Jahrhundert einschließlich ihrer Medientechniken lädt der Verein „Freunde der Sternwarte Sonneberg e. V.“ alle Interessierten ein, mehr über das Leben und Wirken dieses wichtigen Wegbereiters zu erfahren.
Der Vortrag von Hendryk Spanier, unterstützt von umfangreichem Bildmaterial, fand am 19. April 2018 um 19.30 Uhr in der Villa Amalie in Sonneberg statt.
Sonnenfinsternis an der Havel: Erstes Bühnenbild aus dem dekorativen Vortrag „Von der Erde bis zum Monde“, 1889 uraufgeführt im Wissenschaftlichen Theater der Urania in Berlin, nachträglich kolorierter Holzschnitt.
Uraniagebäude von 1889 im Landesausstellungspark, Berlin, Invalidenstraße 57–62, mit Sternwarte, Ausstellungssaal und Wissenschaftlichem Theater.
Mondlandschaft beim Ringberg Plato mit der Erdkugel. Szenische Darstellung im Wiener Astronomischen Theater im Stück „Bilder aus der Sternenwelt“ von Dr. Meyer und dem k. u. k. Hoftheatermaler Hermann Burghart, 1884/85.
Bildquellen: Archiv H. Spanier